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WICHTIG IM WAHLJAHR: AUF MENSCHENBILDER ACHTENOder: Worum es geht, wenn wir der Humanität zum Sieg verhelfen wollenNachdenklicher Kommentar für Monat Juni 2009 von Siegfried Böhringer Unser Jahr 2009 ist nicht nur ein Darwinjahr und ein Astronomiejahr, sondern für die BRD vor allem ein "Superwahljahr" und zugleich das mit "viel schönen Reden" gepriesene Gedenkjahr an 60 Jahren Bundesrepublik mit seiner eindeutig menschenrechtlich geprägten Verfassung. Alle politischen Parteien nennen im derzeitigen Wahlkampf ihre Vorstellung von dem, was Humanität, was Menschlichkeit als die Grundlage und das Ziel ihrer Politik sein soll, indem sie sich in ihren Programmen auf ein dem entsprechendes "Menschenbild" berufen. In meinem heutigen Kommentar will ich eine Türe ganz weit öffnen für die Frage, worauf es denn ankommt, wenn wir Menschenbilder sinnvoll gebrauchen und ihren Mißbrauch für Machtzwecke verhindern wollen. Ich schließe mich dabei zwei Autoren an, welche gewiß nicht im Verdacht stehen, für die Friedensbewegung (meine geistige Heimat) zu sprechen: Im 1.Teil lasse ich Klaus Happrecht mit einigen Aussagen zu Wort kommen, den welterfahrenen Journalisten der "Flakhelfer"-Generation und Redenschreiber von Willy Brandt, und zitiere aus seinen drei großen Essener Reden von 2007 "Politik als angewandte Menschlichkeit?". Der zweite Teil enthält das Fazit des Buches "mißbrauchte Götter", einer kenntnisreichen, scharfblickenden Abrechnung mit der Inflation von Menschenbildern von Friedrich Wilhelm Graf, des renommierten Münchener Theologieprofessors. Was sagt Klaus Happrecht über wahre Menchlichkeit? Wo hat er sie erlebt oder beobachtet, wo hat er sie schmerzlich vermißt? Die nie endende Aufgabe: "Es ist wohl so, wie es die weiseren Geister immer wussten: bis ans Ende der Zeiten wird es die Aufgabe der Menschheit sein, das Menschsein zu lernen." - Die Zerstörung von Menschlichkeit in der Hitlerzeit durch den: "Kollektivwahn" der Deutschen: "wie ein böses Fieber, .. bis der Diktator das Ziel erreichte, dem er in der Tat entgegengefiebert hatte - den Krieg - den der Deutschen, die am 1.September 1939 .. in bangem Schweigen verharrten - und dennoch dem Diktator willig in die Vernichtung und Selbstvernichtung folgten. - Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war das tiefste und finsterste Tal, das die Menschheit jemals durchschritten hat. - Die mühevolle Rückkehr zum humanen Erbe der deutschen Geschichte: Es (das Deutschland der Hitlerzeit) verschloss sich nicht nur der Welt, sondern schnitt sich auch von wesentlichen Linien der eigenen Geschichte ab. Es verleugnete die reichsten Bezirke seiner Kultur. - Die Rückkehr zu den Grundformen der Zivilisation war von unendlicher Mühsal". - Happrechts Interview mit Martin Luther King, die "Kraft der Humanität" und die "einzige geglückte Revolution": Die "intensive Begegnung mit Martin Luther King bei einer seiner friedlichen und darum so machtvollen Demonstrationen: eine unvergessliche Bestätigung der Einsicht in die Kraft der Humanität. - Es könnte die Bürgerrechtsgesetzgebung (in den USA) als die einzig geglückte Revolution des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnet werden". - Endlich Ja sagen zur BRD als multikulturelles Land: "Wir müssen es lernen, ob es uns behagt oder nicht, dass auch wir für immer die Heimat der unterschiedlichsten Minoritäten sein werden - obschon sich die konservative Resistenz noch immer gegen die Einsicht auflehnt, dass auch die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. - Die Aufgabe, einer friedlichen Integration den Weg zu bahnen, ist womöglich der wichtigste humanitäre Auftrag, der uns zu Beginn des neuen Jahrtausends gestellt ist." - "Verteidigung am Hindukush" ohne Humanität: "Wir wurden Zeugen des widersinnigen Engagements der Großmächte in den sogenannten Befriedungs- und Befreiungsaktionen, die den betroffenen Völkern weder den Frieden noch die Freiheit, weder die Demokratie noch den Rechtsstaat bescherten. - Kampf gegen den Terror. Gegenterror, der in Wirklichkeit nichts als neuen Terror produziert. Und, schlimmer noch, die eigene Seele der Wächter von Recht und Freiheit zerstört." Mit solchen Gedanken über wahre Humanität grüßt herzlich Siegfried Böhringer Zum sinnvollen, kritischen Umgang mit Menschenbildern schreibt Friedrich Wilhelm Graf: "Der 'ganze Mensch' steht keinem Maler zu Gebote. Wenn Ebenbild, dann niemals ein fertiges, ideenmarktförmig verkäufliches Menschenbild. Vielmehr ganz viele Fragmentkunstwerke, die bestenfalls bestimmte Züge des Menschen visualisieren können. - 'Du sollst dir kein Bildnis machen ... ' Dies muss kein generelles Menschenbildverbot bedeuten. Aber das Bilderverbot gebietet eine spezifisch bildbewusste Dauerreflexion: das permanente Präsenthalten der unaufhebbaren Ambivalenz und Ambiguität aller Bilder. Unterscheidungskunst ist hier geboten. Statt Proskynese (= Anbetung der Bildes) Distanzierungskraft. Denn kein Urbild geht im Abbild auf. Jeder, jede Einzelne ist prinzipiell anders als 'der Mensch überhaupt'. Wo Menschenbilder mit Adjektiv (= mit einer Eigenschaft) gemalt werden, als sozialistisches, christliches, humanistisches zum Beispiel, ist ideologiekritische Bilddistanz geboten. Bisweilen braucht es eine problemgeschichtlich erworbene Zerstörungskompetenz. Ikonoklastischer (= bilderstürmerischer) Mut ist immer dann geboten, wenn Menschenbilder mehr als nur Momentaufnahmen und Teilansichten sein sollen. Wenn Bilder als nicht vom Menschen selbst entworfene normative Sehkonstrukte verehrt und ihnen die Aura heiliger Sinnentitäten zuerkannt wird, ist Bilderkampfbereitschaft angesagt. Denn Idole sind gemacht und Menschenbilder werden zu Götzen, wo man ihnen eine eigene ethische Sakralaura und Wertemacht zuspricht. Menschenbilder sind gefährlich, weil sie selbst Ebenbild sein wollen. Sie sind es aber nicht, Gott sei Dank: dem unsichtbaren Geistgott, der jedes unserer Bilder transzendiert." Haftungs Ausschluss. zurück zur Startseite der AG Visionen zurück zum Inhaltsverzeichnis der AG Visionen zurück zur Übersicht Nachdenkliche Kommentare von Siegfried Böhringer |