From Attac Dresden Wiki Testsite

AgVisionen: VitaActiva

"Vita activa oder Vom tätigen Leben" von Hannah Arendt und Schlussfolgerungen daraus

Diese Aussagen, wie auch die Aussagen in den meisten anderen Texten, sind das Ergebnis der Besprechungen in unserer AG Visionen. Sie entstammen nicht wissenschaftlichen Veröffentlichungen.

Die Triade menschlicher Aktivitäten oder menschlicher Grundtätigkeiten (Zusammenfassung von Bernd)

Aristoteles war der erste, der menschliche Aktivitäten analysierte und systematisierte. Er entwickelte in diesem Zusammenhang eine Trilogie menschlicher Aktivitäten, bestehend aus Hervorbringen, Handeln und Tätigkeit, die er hierarchisch in dieser genannten Reihenfolge ordnete:
Das Hervorbringen: "Das ist ein praktisches Können, seinem Wesen nach ein auf das Hervorbringen abzielendes reflektierendes Verhalten... das Hervorbringen hat ein Endziel außerhalb seiner selbst." Es ist also praktisches Können, materielles Produzieren.
Das Handeln: Wertvolles Handeln ist Endziel selbst. "Denn die Ansatzpunkte jedes möglichen Handelns sind in dem Ziel gegeben, das durch das jeweilige Handeln verwirklicht werden soll." Hier ist soziales Handeln und Können gemeint, welches sich gemeinsam mit andern in der Gesellschaft bewährt. "Das Wesen der sittlichen Einsicht ist Handeln."
Die Tätigkeit: "die philosophische Weisheit ist sowohl wissenschaftliche Erkenntnis wie intuitives Verstehen der ihrer Natur nach erhabensten Seinsformen." Es ist also geistiges Können, das sich an wissenschaftlichen, philosophischen Problem schult, wissenschaftliches, auch technisches Forschen das Streben nach Erkenntnis. (Aristoteles, EN, 1140a – 1141a)

Das Hervorbringen des Aristoteles unterteilt Hannah Arendt in Arbeit und Herstellen, während sie das Erkennen und Denken, welches Aristoteles unter dem Begriff der Tätigkeit zusammenfasst, dem Herstellen und Handeln zuordnet. Somit unterscheidet Hannah Arendt in ihrem bemerkenswerten Buch "Vita activa oder vom tätigem Leben" die drei menschlichen Grundtätigkeiten Arbeiten, Herstellen und Handeln, die sie analog zu Aristoteles in der genannten Reihenfolge hierarchisch ordnet. Zunächst werden diese drei menschliche Grundtätigkeiten Arbeiten, Herstellen und Handeln in eine Definition gefasst, um sie später ausführlich zu erläutern:

"Die Tätigkeit der Arbeit entspricht dem biologischen Prozess des menschlichen Körpers, der in seinem spontanen Wachstum, Stoffwechsel und Verfall sich von Naturdingen nährt, welche die Arbeit erzeugt und zubereitet, um sie als Lebensnotwendigkeiten dem lebendigen Organismus zuzuführen. Die Grundbedingung, unter der die Tätigkeit des Arbeitens steht, ist das Leben selbst.
Im Herstellen manifestiert sich das Widernatürliche eines von der Natur abhängigen Wesens, das sich der immerwährenden Wiederkehr des Gattungslebens nicht fügen kann und für seine individuelle Vergänglichkeit keinen Ausgleich findet in der potentiellen Unvergänglichkeit des Geschlechts. Das Herstellen produziert eine künstliche Welt von Dingen, die sich den Naturdingen nicht einfach zugesellen, sondern sich von ihnen dadurch unterscheiden, dass sie der Natur bis zu einem gewissen Grade widerstehen und von den lebendigen Prozessen nicht einfach zerrieben werden. In dieser Dingwelt ist menschliches Leben zu Hause, das von der Natur in der Natur heimatlos ist; und die Welt bietet Menschen eine Heimat in dem Maße, in dem sie menschliches Leben überdauert, ihm widersteht und als objektiv-gegenständlich gegenübertritt. Die Grundbedingung, unter der die Tätigkeit des Herstellens steht, ist Weltlichkeit, nämlich die Angewiesenheit menschlicher Existenz auf Gegenständlichkeit und Objektivität.
Das Handeln ist die einzige Tätigkeit der Vita activa, die sich ohne Vermittlung von Materie, Material und Dingen direkt zwischen Menschen abspielt. Die Grundbedingung, die ihr entspricht, ist das Faktum der Pluralität, nämlich die Tatsache, dass nicht die Menschen, sondern viele Menschen auf der Erde leben und die Welt bevölkern. Zwar ist menschliche Bedingtheit in allen Aspekten auf das Politische bezogen, aber die Bedingtheit durch Pluralität steht zu dem, dass es so etwas wie Politik unter Menschen gibt..." (Arendt, 2007 zuerst 1967, 16 – 17)

Die fehlende Unterscheidung zwischen Arbeit und Herstellen in der Antike ist für Hannah Arendt nicht überraschend. Ihrer Ansicht nach ist die Ursache in der politischen Unterscheidung zwischen privat und öffentlich, zwischen Haushaltsbezirk und den öffentlichen Bereich zu sehen. Sklaven, die arbeiteten, bewegten sich vorwiegend im der privaten Sphäre und herstellende Tätigkeiten wurden vorwiegend im öffentlichen Bereich geleistet. (Arendt, 2007 zuerst 1967, 102)

Im Folgenden unterzieht Hannah Arendt die Grundtätigkeiten des Menschen Arbeiten, Herstellen und Handeln einer gründlichen Erläuterung, welches den Kern ihres Buches ausmacht.

Das Arbeit des Animal laborans ist für Hannah Arendt ein Kreislaufprozess, in dem alles Lebensnotwendige produziert wird, sich also Wachstum, Stoffwechsel und Verfall charakterisiert. Diese Lebensnotwendigkeit beherrscht die Arbeit wie den Verzehr. Demzufolge sind die Produkte der Arbeit "nahe dem menschlichen Körper" zugeordnet. Die Arbeitsprodukte sind von geringer Lebensdauer, sie können somit nicht die Dinghaftigkeit der Welt konstituieren. Dieser Kreislaufprozess wird bestimmt durch den Rhythmus von Mühe und Ruhe, Lust und Unlust, Arbeit und Verzehr. Hannah Arendt bezieht sich hier auf die Marx Bestimmung der Arbeit: "Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert." (Marx, 1979, zuerst 1867 – 97, I, 192). Der Arbeitsprozess als solcher kommt zum Ende, wenn die benötigten Lebensmittel produziert sind oder wenn die Arbeitskraft erschöpft ist.

Aus der Perspektive der Nutzung unterscheiden sich die Produkte qualitativ: Produkte der Arbeit werden verbraucht, Produkte des Herstellens werden gebraucht. Der Verbrauch vollzieht sich augenblicklich, der Gebrauch überdauert längere Zeitspannen. Hannah Arendt verdeutlicht dies an dem Beispiel mit dem Brot und dem Tisch, während das Brot an einem Tag verzehrt wird, kann die Nutzung eines Tisches Generationen überdauern. (Arendt, 2007 zuerst 1967, 111)

Die menschliche Arbeitskraft hat die Eigenschaft einen Überschuss zu produzieren, d. h. mehr zu produzieren als zur Reproduktion der eigenen Arbeitskraft notwendig ist. (Arendt, 2006 zuerst 1967, 105) Jedoch vermeidet Hannah Arendt den Begriff der Produktivität und setzt an diese Stelle den Begriff der Fruchtbarkeit. (Arendt, 2007 zuerst 1967, 125)

Dem Arbeiten ordnet Hannah Arendt in ihrer Hierarchie der menschlichen Grundtätigkeiten den untersten Rang zu.

Das Herstellen des Homo faber produziert Dinge, die weltlichen Bestand haben, die somit eine Dingwelt konstituieren. Dem Prozess des Herstellens ordnet Hannah Arendt eine Produktivität zu. Produkte des Herstellens werden gebraucht im Unterschied zum bereits erwähnten Verbrauchen der Produkte der Arbeit. Jedoch räumt Hannah Arendt ein: "Wiewohl Gebrauchen und Verbrauchen, so wenig dasselbe sind wie Herstellen und Arbeiten, kommen sie sich jedoch doch oft so nahe, gehen so fast unmerklich ineinander über, dass die öffentliche und gelehrte Meinung, die diese Sachen miteinander identifiziert, gerechtfertigt zu sein scheint. Alles Brauchen enthält in der Tat ein Element des Verbrauchens, insofern der Abnutzungsprozess durch Kontakt des gebrauchten Gegenstandes mit einem lebend-verzehrenden Organismus zustande kommt, so dass die Identifizierung von Gebrauchen und Verbrauchen um so einleuchtender sein wird, je mehr der betreffende Gegenstand in den körperlichen Bereich den Benutzers rückt. ... Die billigste Fabrikware unterscheidet sich von der erlesenden Delikatesse noch dadurch, dass sie nicht verdirbt, wenn sie nicht benutzt wird, dass sie eine bescheidene Eigenständigkeit hat, die sie befähigt, wie wechselnden Launen ihres Besitzers für einen recht beträchtlichen Zeitraum zu überdauern." (Arendt, 2007 zuerst 1967, 163)

Das Herstellen setzt ein Modell im Kopf des Herstellenden voraus, welches immer am Anfang des Prozesses steht. Der Prozess des Herstellens hat somit definitiv ein Beginn und ein Ende. Auch hier bezieht sich Hannah Arendt auf Marx "Im Arbeitsprozeß bewirkt also die Tätigkeit des Menschen durch das Arbeitsmittel eine von vornherein bezweckte Veränderung des Arbeitsgegenstandes. Der Prozess erlischt im Produkt." (Marx, 1979, zuerst 1867 – 97, I, 195).

Hannah Arendt hebt den Unterschied hervor zwischen der Arbeit als einem Kreislaufprozess und dem Herstellen mit einem definitiven Beginn und Ende, den wir bei Marx so nicht finden. Geräte, Werkzeuge und Instrumente sind für den Prozess des Herstellens zwingend notwendig, jedoch nicht für den Prozess des Arbeitens.

Dem Herstellen ordnet Hannah Arendt in ihrer Hierarchie menschlicher Tätigkeiten den nächst höheren Rang über der Arbeit zu.

Das Handeln als einzige Tätigkeit der vita activa vollzieht sich zwischen den Menschen ohne Vermittlung von Materie und Material. Handeln und das eng damit verbundene Sprechen ergeben am Ende immer eine Geschichte, werden letztlich Geschichte und sind daher politisch, denn sprechend und handelnd schalten wir uns in die Welt der Menschen ein. Das menschliche Handeln vollzieht sich unter den grundsätzlichen Bedingungen der Pluralität. Damit entziehen sich die Ergebnisse des Handelns jeglicher Berechenbarkeit, niemand kann die Folgen seines Handelns voll übersehen. Handeln hat zwar einen konkreten Beginn, jedoch einmal begonnen ist Handeln endlos.

Menschen sprechen und handeln innerhalb eines Erscheinungsraumes. Im Bereich menschlicher Angelegenheiten besteht ein Bezugssystem, in das wir hineingeboren werden. Dieses Bezugsystem ist wesentlich bestimmt durch ein Bezugsgewebe und eine Bezugsgeschichte. In der Interaktion zwischen Menschen verfolgen wir unsere Interessen. "Diese Interessen sind im ursprünglichen Wortsinne das, was 'inter-est' dazwischen liegt und die Bezüge herstellt, die Menschen miteinander verbinden und zugleich voneinander scheiden." (Arendt, 2007 zuerst 1967, 224)

Denken und Erkennen sind die Äquivalente von Handeln und Herstellen, denn Denken wie Handeln erfolgt zweckfrei und ist als Tätigkeit endlos, während Erkennen ein konkretes Ziel verfolgt, einen Beginn und ein Ende hat.

Handeln und Sprechen steht für Hannah Arendt an der Spitze der Hierarchie der drei menschlichen Grundtätigkeiten.

Genau diese Hierarchie der drei menschlichen Grundtätigkeiten kritisiert Engler, insbesondere die Zuordnung der Arbeit auf den niedrigsten Rang, worin Hannah Arendt letztlich nur Aristoteles folgt. Engler meint bei Hannah Arendt analog zu Aristoteles eine Verachtung der Arbeit zu erkennen, daher wirft Engler ihr Snobismus vor. (Engler, 2005, 48).

Dabei bezieht sich Engler auf die Definition des Animal laborans. Hannah Arendt leitet aus dem Begriff des Animal laborans ab, dass seine Arbeit nichts objektiv Greifbares hinterlässt, dass das Resultat seiner Mühe gleich wieder verzehrt wird oder sie nur um ein geringeres überdauert. (Engler, 2005, 45) Jedoch diese Kurzlebigkeit der Produkte liegt in der Natur des Kreislaufes und im Gegenstand des Arbeitens, welche eben diese Kurzlebigkeit der Arbeitsprodukte bewirkt. Daraus kann jedoch keine Verachtung der Arbeit seitens Hannah Arendt abgeleitet werden.

"Das Animal laborans flieht nicht die Welt, sondern wird aus ihr ausgestoßen in die unzugängliche Privatheit des eigenen Körpers, wo es sich gefangen sieht von Bedürfnissen und Begierden, an denen niemand teilhat und die sich niemandem voll mitteilen können." (Arendt, 2007 zuerst 1967, 139) Eine Kritik der Arbeit, die dem Arbeitenden als snobistische erscheinen muss, so Engler, jedoch ließt man den Text weiter und erkennt den Kontext in den Hannah Arendt diesen Satz stellt, fällt der Vorwurf in sich zusammen: "Dass Sklaverei und Verbannung in den Haushalt im großen Ganzen die gesellschaftliche Lage der arbeitenden Klassen bis zur Neuzeit bestimmte, ist in erster Linie der Condition humaine selbst geschuldet." Sie ist eine Last, die den Animal laborans am wirklichen Menschsein hindert. (Arendt, 2007 zuerst 1967, 139)

"Aber die Nationalökonomie kennt den Arbeiter nur als Arbeitstier, als ein auf die striktesten Leibesbedürfnisse reduziertes Vieh." schreibt selbst Marx. (Marx/Engels, 1983, I, 46)

Des weiteren wirft Engler Hannah Arendt vor, dass sie einen drohenden Konsumismus beklagt: "... die überschüssige Zeit des Animal laborans wird niemals für etwas anderes verbraucht als Konsumieren , und je mehr Zeit ihm gelassen wird, desto begehrlicher und bedrohlicher werden seine Wünsche und sein Appetit." (Arendt, 2007 zuerst 1967, 157) Jedoch dieser Konsumismus ist gegenwärtige Realität der postfordistischen Gesellschaft: "Was einmal dem Philosophen Leben hieß, ist zur Sphäre des Privaten und dann bloß noch des Konsums geworden, die als Anhang des materiellen Produktionsprozesses, ohne Autonomie und ohne eigene Substanz, mitgeschleift wird." analysiert Adorno (Adorno, 2001 zuerst 1951, 7). In den Zeiten des Postfordismus wird der Konsum als eine Kulturleistung gefeiert. (Misik, 2007, 16 – 34) Und selbst Engler räumt dies indirekt in seinem nächsten Buch ein. In dem er mit den Begriffen der Freiheit und der Freiheitsfähigkeit operiert, gesteht er ein, dass die Nutzung der Freiheit oder anders formuliert die Fähigkeit der vita activa erst erworben werden muss, sie ist nicht von vornherein gegeben. (Engler 2007, 84 – 89)

Was Engler jedoch nicht diskutiert, welches jedoch die Begründung der Hierarchie Arbeiten, Herstellen und Handeln plausibel und die Analyse so wesentlich und wertvoll macht, ist Analyse auf der Ebene der Zwecksetzungen und Sinngebung von Arbeiten, Herstellen und Handeln hinsichtlich ihrer Voraussetzung und ihrer Qualität.

Der Arbeitsprozess als der Kreislaufprozess für die Produktion des Lebensnotwendigen, dient keinem Endzweck, der auf das Produkt bezogen ist. "Zwar produziert Arbeit zweifellos auch für den Zweck des Konsums, aber da dieser Zweck, als Endprodukt gesehen, der weltlichen Beständigkeit eines Gegenstandes ermangelt, ist das Ergebnis des Arbeitsprozesses nicht durch das Endprodukt determiniert, sondern durch die Erschöpfung der Arbeitskraft; die dem Arbeitsprodukte andererseits werden wieder zu Mittel, ihr Zweckcharakter ist eine ganz vorübergehende Eigenschaft" (Arendt, 2007 zuerst 1967, 169) Weiter heißt es: "So ist es auch müßig, an das Leben und den Lebensprozess, von dem die Arbeit einen integrierenden Teil bildet und den sie als solchen niemals übersteigt, Fragen zu stellen, die die Zweck-Mittel-Kategorie voraussetzten, also z. B. danach zu fragen, ob der Mensch lebt und seine Bedürfnisse stillt, um die Kraft zur Arbeit zu haben, oder ob umgekehrt er nur arbeitet um seine Bedürfnisse zu stillen zu können" (Arendt, 2007 zuerst 1967, 172)

Der Herstellungsprozess ist im Wesentlichen durch die Zweck-Mittel-Kategorie bestimmt. Das hergestellte Ding ist ein Endprodukt, weil der Herstellungsprozess in ihm an sein Ende kommt, "der Prozess erlischt im Produkt", wie Marx es formuliert, das Produkt ist ein Zweck, dem der Herstellungsprozess als Mittel dient.(Arendt, 2007 zuerst 1967, 168 – 169) Der Tisch z. B., der für den Tischler Zweck ist, und wenn dieser erreicht ist, der Tätigkeit des Tischlers ein Ende setzt, kann auch als Tauschmittel für die Warenzirkulation fungieren. (Arendt, 2007 zuerst 1967, 182) Das heißt die Produktion für den Tausch, für den Markt ist gleichfalls durch die Zweck-Mittel-Kategorie determiniert. In dieser Zweck-Mittel-Kategorie ist der Homo faber hoffnungslos gefangen, in dieser eingespannt ist der Nutzen sein Ideal, das seinem Tun vorschwebt. "Um des Ideals der Nützlichkeit willen ist, das ihm in seinem Tun leitet, tut Homo faber alles, was er betreibt, in der Form des Um-zu, um einen bestimmten Zweck zu erreichen." (Arendt, 2007 zuerst 1967, 172) Denn innerhalb der Zweck-Mittel-Kategorie und des Erfahrungsfeldes, in dem die gesamte Welt von Gebrauchsgegenständen und Nützlichkeit überhaupt lokalisiert ist, gibt es keine Möglichkeit den Zweckprogessus zu durchbrechen, Homo faber definiert die Dinge, seine Produkte zum Zweck an sich! (Arendt, 2007 zuerst 1967, 183) Auf der anderen Seite empfindet Homo faber berechtigten Stolz auf das Geschaffene, welches sowohl den Vorgang des Herstellens begleitet als auch in einem Gefühl der Genugtuung auf das Erreichte mündet.

Das Herstellen dient also, wenn es der Produktion für den Markt gilt, nur dem Zweck der Selbstverwertung, denn wenn ein Produkt einen Käufer oder Auftraggeber gefunden hat, dann ist der Zweck erfüllt, es wird hergestellt, produziert egal ob das Produkt an sich Sinn macht – einem tatsächlichen Bedürfnis dient, ökologisch wertvoll oder schädlich ist, ob es für militärische Zwecke dient usw. Selbst der Umwelt- und Klimaschutz ist einem Zweck unterworfen, den der optimalen Verwertungsbedingung der Wirtschaft. Erst als vorgerechnet wurde, dass die Folgekosten des vernachlässigten Umwelt- und Klimaschutzes deutlich höher sind, als Investitionen in den Umwelt- und Klimaschutz, verbunden mit dem Argument, dass man mittels moderner Klimatechnik und Klimatechnologie Märkte erobern, Arbeitsplätze schaffen kann, wurde der Umwelt- und Klimaschutz tatsächlich wahr genommen.

Ein Sinn muss dagegen beständig sein, und er darf von seinem Charakter nichts verlieren, wenn er sich erfüllt oder besser, wenn er dem Menschen in seinem Handeln aufgeht oder sich ihm versagt und ihm entgeht. (Arendt, 2007 zuerst 1967, 184). Der Sinn ist somit in der Tätigkeit des Handelns angesiedelt.

Da der Homo faber als herstellendes Wesen nichts anderes als die Zweck-Mittel-Kategorie kennt, die sich unmittelbar aus seiner Werktätigkeit ergibt, er ist unfähig, einen Sinn zu verstehen oder gar nach ihm zu fragen, genau wie der Animal laborans, als ein arbeitendes Wesen, unfähig ist, einen Zweck zu erkennen. (Arendt, 2007 zuerst 1967, 184) Genau das begründet die Hierarchie von Arbeiten, Herstellen und Handeln.

Insofern unterscheidet sich jeweils auch der öffentliche Raum des Herstellenden Homo faber von dem des Handelnden. Da für den Herstellenden der Zweck seines Herstellens der Tausch ist, ist der Tauschmarkt der öffentliche Raum des Herstellenden in dem er aus seiner Isoliertheit hineintritt. Die anderen Tauschenden, die ihm gegenübertreten, beurteilt er nach ihren Produkten. Der Tauschmarkt als öffentlicher Raum des Homo faber ist unpolitisch, daher ist der Herstellende unpolitisch!

Der öffentliche Raum des Handelnden ist, wie oben bereits dargelegt, der Erscheinungsraum. Handeln und Sprechen in Isolation ist demnach unmöglich. In diesem öffentlichen Erscheinungsraum trifft der Handelnde und Sprechende auf ein Bezugsgewebe, bestehend aus einander widerstrebenden Interessen, Absichten und Zwecken. Folglich kann der Handelnde seine Interessen und Zwecke niemals so realisieren, wie es ihm ursprünglich vorschwebte. Dieser Erscheinungsraum, in dem Handelnde und Sprechende Geschichten erzählen und Geschichte machen, ist daher ein politischer Raum. Was diesen politischen Körper zusammenhält, ist sein Machtpotential. (Arendt, 2007 zuerst 1967, 252)

Im Prozess des Handelns entsteht auch Macht. Mit realisierter Macht haben wir es also immer dann zu tun, wenn Worte und Taten untrennbar mit einander verbunden sind, Macht ist also das, was den öffentlichen Bereich zwischen Handelnden und Sprechenden in Dasein ruft. Damit besitzt Macht im eigentlichen Sinne niemand, sie entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln und sie verschwindet, wenn sie sich zerstreuen. Macht ist ihrem Wesen nach, wie das Handeln, schrankenlos. Isolierung schafft folglich nur Ohnmacht! Macht wird innerhalb der Pluralität durch andere Mächte von anderen Handelnden und Sprechenden begrenzt. (Arendt, 2007 zuerst 1967, 251 – 254)

Gewalt hingegen ist eine eigene Kraft, mit der ein einzelner oder eine kleine Gruppe viele zwingen kann, weil sie in Form von Gewaltmittel monopolisierbar ist und angehäuft werden kann. Gewalt kann Macht nur zerstören nicht ersetzen, daher ist Gewalt sprachlos. (Arendt, 2007 zuerst 1967, 255)

Aus diesen Untersuchungen leitet Hannah Arendt einen mögliches Prinzip der Emanzipation des Menschen ab: "Wir sahen, wie der Mensch qua Animal laborans den Kreislauf des Lebensprozesses, der ihn in die immer wiederkehrende Notwendigkeit von Arbeit und Verzehr zwingt, nur dadurch durchbrechen kann, dass er eine andere, ihm eigene Fähigkeit mobilisiert, die Fähigkeit herzustellen, zu fabrizieren und zu produzieren, um so als Homo faber und Werkzeugmacher nicht nur die Mühe und Plage des Arbeitens zu erleichtern, sondern auch eine Welt zu errichten, deren Dauerhaftigkeit gegen den verzehrenden Kreislauf des Lebens gesichert ist und ihm widersteht. ... Wir sahen weiter, wie der Mensch qua Homo faber dem Fluch der Sinnlosigkeit, der Entwertung aller Werte, der Unmöglichkeit, gültige Maßstäbe in einer Tätigkeit zu finden, die wesentlich durch die Zweck-Mittel-Kategorie bestimmt ist, nur dadurch entrinnen kann, dass er die in sich zusammenhängenden Fähigkeiten des Handelns und Sprechens mobilisiert, die so selbstverständlich sinnvolle Geschichten erzeugen, wie das Herstellen Gebrauchsgegenstände produziert." (Arendt, 2007 zuerst 1967, 300 – 301)

Und sofort fällt uns erneut das marxsche Zitat ein: "Es handelt sich nicht darum, die Arbeit zu befreien, sondern sie aufzuheben." (Marx/Engels, in Marx/Engel, 1983, I, 231) Es geht hier schlicht darum, den Selbstzweck Arbeit als Kehrseite des Selbstzwecks der Geldvermehrung aufzuheben. Insofern handelt es sich nicht um die Beseitigung der Arbeit, wie es Engler es Hannah Arendt unterstellt, sondern um die dialektische Aufhebung der Arbeit, nicht die Befreiung der Arbeit, sondern um die Befreiung von der Arbeit, um die Befreiung von der Wertverwertung als das grundlegende Prinzip der Arbeit. Das bedeutet das Herstellen, um mit den Worten Hannah Arendts zu operieren, den Homo faber, der Frage nach dem Sinn, der vita activa unterzuordnen. Arbeit als Selbstzweck der Wertverwertung, des Warenfetischismus gilt es zu überwinden mit dem Ziel der selbstbestimmten Tätigkeit, die zwangsläufig eine andere Produktionsweise nach sich zieht. Wirklich Freiheit nämlich kann nur darin bestehen, "daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden" (Marx, 1979 zuerst 1867-97, III, 828) Und mit den Worten Hannah Arendts: der Siegeszug der vita activa, die Gewinnung des politischen Raums für alle ist das Ziel. Denn Politik ist nur dann Sinn stiftend, wenn Politik nicht Zwecken unterworfen wird. Die Zweck-Mittel-Kategorie muss auf den ihr gehörigen Platz des Herstellens verwiesen werden, um zu verhindern, dass sie im Feld des politischen Handelns zur Anwendung kommen. (Arendt, 2007 zuerst 1967, 185). Insofern sind Zweckfragen immer den Sinnfragen unterzuordnen.

In der heutigen Politik jedoch verwandelt die Gesellschaft des Herstellens in eine Gesellschaft der Arbeit, in eine Arbeitsgesellschaft in eine total auf Arbeit fixierte Gesellschaft. Belegen lässt sich das durch die Gesetzgebung und Praxis zur Grundsicherung Hartz IV. Die Vermittlung von Arbeitsplätzen erfolgt unter dem Motto: "Jeder Job ist besser als keiner." Es interessiert dort weder Qualifikation, noch Interesse noch Motivation oder auch die familiäre Situation, schon gar nicht interessiert, ob derjenige von seinem Job leben kann. Die Zumutbarkeitsregeln für Arbeit, die nur nach dem moralisch Vertretbaren fragen, sind hierbei geltender Maßstab. Oftmals müssen Betroffene jede noch so absurde "Beschäftigungsmaßnahme" akzeptieren, um ihre bedingungslose Arbeitsbereitschaft zu demonstrieren.

"Wer heute noch nach Inhalt, Sinn und Zweck seiner Arbeit fragt, wird verrückt - oder zum Störfaktor für das selbstzweckhafte Funktionieren der gesellschaftlichen Maschine. Der einstmals arbeitsstolze homo faber, der das, was er tat, auf seine bornierte Art noch ernst nahm, ist so altmodisch wie eine mechanische Schreibmaschine geworden. Die Mühle hat um jeden Preis zu laufen, und damit basta. Für die Sinnerfindung sind die Werbeabteilung und ganze Heerscharen von Animateuren und Betriebspsychologinnen, Imageberatern und Drogendealerinnen zuständig. Wo dauernd von Motivation und Kreativität geplappert wird, ist garantiert nichts mehr davon übrig – es sei denn als Selbstbetrug. Deshalb zählen die Fähigkeiten zu Autosuggestion, Selbstdarstellung und Kompetenz-Simulation heute zu den wichtigsten Tugenden von Managern und Facharbeiterinnen, Medienstars und Buchhaltern, Lehrerinnen und Parkplatzwächtern." (Krisis, 1999, 5)

Die Verwandlung des Herstellens in Arbeiten lässt sich sowohl in der Sphäre der Produktion als auch in der der Konsumtion nachweisen. In der Produktion ist der Wegfall des Zwecks politisch gewollt, denn das Zwangsprinzip Arbeit gerät zunehmend in Widerspruch mit den tatsächlich vorhandenen Arbeitsplätzen, so dass der Besitz eines Arbeitsplatzes der Wert an sich wird, unabhängig vom Inhalt des Arbeitsplatzes. Die Kürzung der Grundsicherung Hartz IV wird bei Verweigerung der Annahme eines Arbeitsplatzes als legitimes Mittel gesehen, das Zwangsprinzip Arbeit durchzusetzen. In der Sphäre der Konsumtion verwandelt sich das Gebrauchen zunehmend in das Verbrauchen. Die Lebensdauer von Konsumgütern, die vormals als langlebig betrachtet wurden, wird immer kürzer und immer zwanghafter Modeerscheinungen unterworfen. Der Konsum wird zur verinnerlichten Pflicht. Selbst der Kulturbetrieb wird zum Konsumismus degeneriert. Shopping Malls werden zu Galerien hochstilisiert, der Einkauf zum Kulturerlebnis. Konsumgüter, der ideelle Wert der Konsumgüter überschattet seinen Gebrauchswert und seinen Tauschwert. (Misik, 2007, 35 – 80)

In der heutigen Gesellschaft, bestimmt der Zweck Arbeit die Politik. Da nur der Konsum das Schwungrad Wirtschaft in Betrieb hält, wird dieser als notwendig und wünschenswert definiert. Niemand stellt sich die Frage, ob die Dominanz des Konsums wirklich sinnvoll ist. Beispielsweise: "Die amerikanischen Bürger verfügten im Jahr 1993 verglichen mit dem Jahr 1957 über mehr als doppelt soviel Einkommen. Das hat sie nicht doppelt so glücklich gemacht; eher scheint sich die Einschätzung zu verändern: Während 1957 35 % der Befragten angaben, sehr glücklich zu sein, gaben 1993 nur mehr 32 % diese Auskunft. Subjektives Wohlergehen hat oberhalb einer gewissen Stufe nicht mehr viel mit der Höhe des Einkommens zu tun; Einkommensunterschiede oder das Gefühl sozialer Zugehörigkeit spielen eine größere Rolle. ... Aus alldem lässt sich der Schluss ziehen, dass Lebensqualität nur begrenzt mit Lebensstandard zu tun hat. Dieses scheinbare Paradoxon rührt daher, dass Wohlstand viele Dimensionen hat, sein auf materiellen Zuwachs gerichtetes Verständnis aber nur die Gelddimension ernst nimmt." (Wuppertal Institut, 2005, 163 – 164) Insofern stellt sich die Frage: Ist das zweite, dritte oder vierte Auto in der eigenen Garage Sinn des Lebens, ist der dritte, vierte oder fünfte Fernseher wirklich notwendig, macht das immer mehr der kurzeitigen Mode unterworfene Tragen von Markenartikel die Menschen wirklich glücklicher, ihr Leben sinnvoller? Aber diese Frage stellt niemand, diese Frage darf niemand stellen, das hieße, in die Speichen des Schwungrades Wirtschaft zu greifen. Da die Wirtschaft die Politik dominiert und somit die Aufrechterhaltung der Arbeitsgesellschaft sichert, hat also das Homo faber oder mehr noch das Animal laborans das Sagen. Hier zeigen sich die Konsequenzen der Dominanz der Zweck-Mittel-Kategorie auf dem Feld der Politik. Das macht heutige Politik so fragwürdig.

Um es zu wiederholen: "Arbeit ist keineswegs identisch damit, dass Menschen die Natur umformen und sich tätig aufeinander beziehen. Solange es Menschen gibt, werden sie Häuser bauen, Kleidung und Nahrung ebenso wie viele andere Dinge herstellen, sie werden Kinder aufziehen, Bücher schreiben, diskutieren, Gärten anlegen, Musik machen und dergleichen mehr. Das ist banal und selbstverständlich. Nicht selbstverständlich aber ist, dass die menschliche Tätigkeit schlechthin, die pure "Verausgabung von Arbeitskraft", ohne jede Rücksicht auf ihren Inhalt, ganz unabhängig von den Bedürfnissen und vom Willen der Beteiligten, zu einem abstrakten Prinzip erhoben wird, das die sozialen Beziehungen beherrscht." (Krisis, 1999, 6)

Diskussion darüber

Uwe
Haftungs Ausschluss.

zurück zur Startseite der AG Visionen

<< Warum werden Menschen nicht politisch aktiv | Inhaltsverzeichnis | Angst >>

Retrieved from http://mtw.free.fr/attacwiki/index.php?pagename=AgVisionen.VitaActiva
Page last modified on June 11, 2014, at 08:22 AM